"The incredible queerness of being"
"Queer Easter" – Ein Projekt der Jugendbildungsstätte Kurt Löwenstein. Ein Artikel von Raana Gräsle / Candida Splett in: Außerschulische Bildung 2/2006, Macht politische Bildung auch politisch?
"Queer Easter" ist ein internationales Seminar, das seit dem Jahr 2000 jährlich zu Ostern schwule, bisexuelle, lesbische, transsexuelle und heterosexuelle (LBGT) Jugendliche aus ganz Europa in der Jugendbildungsstätte Kurt Löwenstein zusammenbringt. Jugendliche, die sich schon intensiv für LBGT-Belange einsetzen, treffen solche, die zwar politisch engagiert, jedoch nicht mit LBGT-Themen befasst sind, und Jugendliche, die bisher gänzlich unpolitisch waren. Die Situation in den Herkunftsländern der Teilnehmenden unterscheidet sich mitunter gravierend und das hat auch Auswirkungen auf das politische Engagement für die Belange von LBGT. Der folgende Artikel versucht zu beschreiben, wie bei den Teilnehmenden durch politische Bildung auf der Basis gegenseitiger Inspiration und Solidarität und durch Kompetenzvermittlung Prozesse der Bewusstwerdung über gesellschaftliche Zusammenhänge in Gang gebracht und die Entwicklung von Handlungsfähigkeit gefördert wurden. Es soll deutlich werden, wie dieses Angebot der politischen Bildung zu konkreten politischen Aktivitäten in den Herkunftsländern und auf internationaler Ebene führte.
Internationale Bildung und Begegnung in der Jugendbildungsstätte Kurt Löwenstein
Seit 1995 ist die Jugendbildungsstätte Kurt Löwenstein Bundesbildungsstätte der Sozialistischen Jugend Deutschlands – Die Falken und hat damit ihren Aufgabenbereich wesentlich erweitert. Die Schwerpunkte unserer internationalen politischen Bildungsarbeit sind heute vielfältig. Wir veranstalten Jugendbegegnungen in Kooperation mit Schulen, berufsbezogenen internationalen Austausch mit Auszubildenden, kulturelle internationale Projekte, internationale Seminare zu den verschiedensten Themen in Kooperation mit mittel-, ost- und westeuropäischen Partnerorganisationen, Seminare mit internationalen Partnerorganisationen wie der IUSY (International Union of Socialist Youth), der IFM-SEI (International Falcon Movement) und der ECOSY (Young European Socialists) sowie Qualifizierungsseminare für Aktive der Jugendarbeit aus ganz Europa.
Bei unseren Projekten liegt der Schwerpunkt auf der Arbeit mit Teilnehmenden aus Europa, vereinzelt kommen aber auch Teilnehmende aus außereuropäischen Ländern. Neben der Stärkung der Analyse- und Handlungskompetenz unserer Teilnehmenden für die politische Positionierung und Mitbestimmung im eigenen Land verfolgen wir mit unseren Angeboten auch das Ziel des kulturellen und politischen Austauschs und der gemeinsamen Lösungsfindung über Staatsgrenzen hinweg. Die stabile langfristige Zusammenarbeit und Netzwerkbildung mit unseren europäischen Partnern ist für uns auch ein Beitrag zum Prozess der europäischen Integration, den wir so versuchen mit Leben zu füllen. Gemeinsam wollen wir Ideen für dessen aktive Gestaltung entwickeln.
Das Projekt "Queer Easter"
Schwule und Lesben gibt es in allen Ländern – mehr oder weniger sichtbar. In manchen Ländern ist Homosexualität nach wie vor strafbar, in anderen ein gesellschaftliches Tabu. All dies spiegelt sich auch in Jugendorganisationen wider. Die Auseinandersetzung mit dem Themenkomplex Heterosexismus bzw. der Auffassung, dass nur Heterosexuelle "normal" sind, und die konkrete Konfrontation mit Diskriminierung und Vorurteilen gehören nur in wenigen Jugendorganisationen zur Praxis. Das bekommen all jene zu spüren, die sich in einer heterosexuell genormten Umgebung diskriminiert und eingeengt fühlen. Es wird zwar viel über Diskriminierung von Minderheiten diskutiert, innerhalb der Organisationen selbst wird aber die Minderheit der Homosexuellen kaum erwähnt. Oft ist Heterosexismus als Form der Diskriminierung nicht im Bewusstsein verankert. Doch gerade Jugendverbände müssen sich selbstkritisch mit diesem Thema auseinandersetzen, denn nicht zuletzt gehört zur Entwicklung eines selbstbestimmten Lebens auch die Frage der sexuellen Orientierung nicht nur als persönliche Vorliebe, sondern auch als Grundrecht innerhalb einer demokratischen Gesellschaft.
Über "Queer Easter" sollen zum einen die Teilnehmenden selbst gestärkt und unterstützt werden. Zum anderen ist "Queer Easter" der Ort, an dem diskutiert wird, wie Jugendorganisationen gesellschaftlich aufklären, jungen Menschen die Möglichkeit zur freien Entwicklung bieten und diskriminierenden Strukturen entgegenwirken können.
Die konkreten Erfahrungen während der Seminare sind Grundlage, um Gegenwelten innerhalb der Organisationen entwickeln zu können. Hierbei werden auch die Kon-zepte der Jugendorganisationen, die bereits "queer-networks" (oder lesbischwultrans- (LBGT-)Netzwerke, -Arbeitsgruppen und -Plattformen) haben, auf ihre Tauglichkeit für Organisationen ohne solche Strukturen überprüft. Dabei wird auch diskutiert, wie die Partizipation nicht-heterosexueller Jugendlicher in Jugendverbänden organisiert werden kann und ob dafür überhaupt eine besondere Partizipationsstruktur notwendig ist.
"Queer Easter" soll der Stärkung bereits bestehender LBGT- Strukturen dienen und den Weg für die Etablierung solcher Strukturen innerhalb heterosexuell dominierter Jugendorganisationen ebnen. Auch haben die Teilnehmer/-innen auf dem Seminar die Möglichkeit, sich inhaltlich auseinanderzusetzen und ihre persönlichen und organisationseigenen Konzepte auszutauschen.
Woher kommen die Teilnehmenden?
Die Teilnehmenden unserer "Queer Easter" -Seminare sind Mitglieder unterschiedlicher Gruppierungen und Organisationen, von denen viele Organisationen in einer der drei Dachverbände IFM-SEI, IUSY und ECOSY organisiert sind. Aber auch unorganisierte Teilnehmende und solche aus anderen Jugend-NGO’s nehmen an "Queer Easter" teil (insbesondere aus Ländern, in denen Homosexualität als „Krankheit" gilt). Außerdem kommen Teilnehmende aus lesbischwulen Jugendorganisationen sowie Mitglieder von IGLYO (International Gay, Lesbian, Bisexual, Transgender and Queer Youth and Student Organization).
Die Erfahrungen und Bedürfnisse der Teilnehmenden aus "normalen" Jugendorganisationen unterscheiden sich deutlich von denen der Teilnehmenden aus LBGT-Organisationen, so dass sich ein weites Feld des Austausches von Erfahrungen eröffnet.
Meist nehmen pro Land zwischen zwei und vier Personen teil. Im Jahr 2006 kamen die rund 60 Teilnehmenden aus Belarus, Deutschland, Frankreich, Großbritannien, Israel, Italien, den Niederlanden, Österreich, Polen, Schweden, Slowenien, Spanien und Litauen.
Ziele
Selbstvertrauen gewinnen und Empowerment
Während unseres Queer-Easter-Seminars wird die gesellschaftliche Minderheit zur Mehrheit. Diese Erfahrung ist für alle Teilnehmenden von großer Bedeutung und stärkt ihr Selbstvertrauen. Sowohl in der strukturierten Diskussion über die Gegebenheiten in der eigenen Organisation und im eigenen Land als auch über den Austausch im "Knowledge-Café" wird erfahrbar, dass es sich – obwohl Unterschiede vorhanden sind - bei den Anliegen der Teilnehmenden nicht um Einzelinteressen, sondern um die Interessen einer gesellschaftlichen Gruppe handelt. Als solche sollen sie ermutigt werden, sich in ihren Ländern zu organisieren und zu artikulieren. Sie erarbeiten Strategien, um öffentlich Position zu beziehen und sich für ihre Belange einzusetzen. Das Seminar vermittelt den Teilnehmenden gezielt Arbeitstechniken, die ihnen bei ihrem Engagement in den Herkunftsländern nützlich sein können. Hierzu gehören Argumentationstrainings, thematische inhaltliche Weiterqualifizierungen, die Erweiterung der Medienkompetenz (z. B. Website, Fotobearbeitung, Videoschnitt, Radio etc.) sowie verschiedene Trainings zu Campaigning, Fundraising, Lobbying, Networking, Projektmanagement, Strukturenaufbau. In diesem Zusammenhang wurde auch das "Tool-Kit Awareness Raising and Capacity Building" entwickelt, das die Teilnehmenden am Ende der Begegnung mitnehmen konnten. Es enthält Hintergrundtexte, Links, Einzel-Methoden und Anregungen, wie man Workshops, Aktionen und Seminare vorbereitet, durchführt und nachbereitet. Die Mischung aus Theorie und Praxis ermöglicht den späteren Gebrauch gemäß den individuellen und organisations- bzw. länderspezifischen Bedürfnissen.
Gleichberechtigung aller sexuellen Identitäten
Bei "Queer Easter" gibt es keine Bewertung aufgrund der sexuellen Identität. Alle sind "gleich", alles ist "erlaubt". Es gibt keine Tabus, keinen gesellschaftlichen Normativismus, keine Ausgrenzung. Die Eigendefinition zählt und wird angenommen. Es gibt keinen "Outing-Zwang" und keinen Definitionszwang, egal in welche Richtung. "We are here we are queer" gilt über sämtliche sexuellen Identitäten hinweg. Queer sein bedeutet, die scheinbar gegebene gesellschaftliche Norm in Frage zu stellen. Woher kommt diese Norm, warum gibt es sie, warum wird das eine als "normal" angesehen, etwas anderes nicht? Warum ist es notwendig, sich der Norm anzupassen oder zu sagen "ich bin anders", woher kommt das Bedürfnis der Kategorisierung von Identität? Welche Mechanismen begleiten die Norm, welche Auswirkungen hat sie und wem nutzt sie? Gibt es überhaupt eine feste und beständige sexuelle Identität? Zu dieser Haltung gehört auch die Dekonstruktion von Geschlecht und Gender-Rollen als gesellschaftliche Parameter.
Austausch über Alltag und Probleme sowie Entwicklung gemeinsamer Lösungsstrategien
Auf der inhaltlichen Ebene verfolgen wir das Ziel eines Austausches über gesellschaftliche Themen, die das alltägliche Leben der Teilnehmenden betreffen. Hierzu gehören sowohl länderspezifische Diskussionen (wie z. B. zu Belarus, Kolumbien, Polen und Großbritannien) als auch die Beschäftigung mit Themen wie Feminismus, Queer-Movement, Globalisierung, Armut, Bildung, Equality, etc.
Die gemeinsame Analyse von Gesellschaft und gesellschaftlichen Bedingungen führt zur Entwicklung von Lösungsstrategien, die auf Probleme in den jeweiligen Herkunftsländern abgestimmt sind oder die gemeinsam in Angriff genommen werden können. Ziel ist es, die Handlungskompetenz der Teilnehmenden im gesellschaftlichen und politischen Raum zu erweitern. Es soll die Erkenntnis unterstützt beziehungsweise gewonnen werden, dass ein kollektives Handeln möglich und in unterschiedlichen Zusammenhängen erfolgreich ist. Besonders hilfreich ist hierbei der Austausch zwischen Aktivist/-innen von Community-Organisationen mit anderen Teilnehmenden.
Die Erfahrung des Er-Lebens einer Gegenwelt und die Möglichkeit, sehr persönliche Themen mit Gleichgesinnten diskutieren zu können, ist für alle Teilnehmenden von großer Bedeutung.
Sensibilisierung von Jugendorganisationen
Ein weiteres inhaltliches Ziel des "Queer Easter" -Seminars ist die Entwicklung von Strategien zur Sensibilisierung der eigenen Organisationen und zu deren Versorgung mit den notwendigen Informationen. Nicht nur bei Aufklärung, Aids-Prävention usw. wird oftmals wie selbstverständlich davon ausgegangen, dass alle Jugendlichen heterosexuell sind. Jugendliche brauchen auch Vorbilder für andere Lebensformen und Menschen, die denen, die sich nicht sicher sind, Beispiele geben und Freiräume öffnen. Mit ihren Problemen, insbesondere beim Coming-out, wenden sie sich häufig an ihre Gruppenhelfer/-innen, die mit dem Thema überfordert sind. "Queer Easter" bietet daher Aktivist/-innen von Jugendorganisationen die Möglichkeit, sich darauf vorzubereiten, als Multiplikator/-innen in ihren Organisationen zu wirken, egal welche sexuelle Identität sie selbst haben. Gleichzeitig geht es auch darum, bei Jugendorganisationen, die Gesellschaft gestalten und verändern wollen, Homophobie und Diskriminierung von nicht-heterosexuellen Jugendlichen zum Thema zu machen und das Prinzip von Equality auch auf die Gleichheit sexueller Identitäten zu beziehen.
Netzwerke knüpfen
Das Knüpfen von Netzwerken ist ein wichtiger Faktor innerhalb von "Queer Easter" . Hier treffen sich manchmal erstmalig Mitglieder der gleichen Organisation, die sehen, dass sie sich zusammentun können. Bei "Queer Easter" entstehen Kontakte zwischen verschiedenen Organisationen aus den gleichen Ländern, die bislang nicht miteinander gearbeitet haben, die aber an Ostern gemeinsame Aktionen planen. Nicht zuletzt ist "Queer Easter" ein wichtiges Ereignis im Arbeitsjahr der kooperierenden LesBiSchwulen Netzwerke der nationalen und internationalen Kooperationspartner. Hier wird die Jahresplanung entwickelt, hier werden die eigenen und gemeinsame Projekte besprochen und geplant.
Themenschwerpunkte
Es gibt jährlich wechselnde Themenschwerpunkte, zu denen in Workshops gearbeitet wird. Nach "overcoming homophobia" im Jahr 2005 war Themenschwerpunkt des Jahres 2006 "awareness-raising and capacity building": Der Themenkomplex wurde über Workshops wie z. B. equality", "stereotypes and prejudices" (ihre Entstehung, Mechanismen und Auswirkungen), "Queer theory", "legal frameworks compared" "discrimination and discrimination within", "formal education" "non-formal education", "Media", "Queer-prides", und "welcome diversity, good bye homophobia" bearbeitet. Außerdem gibt es jedes Jahr Workshops zu Redetechnik, Gruppenaufbau, Networking, Lobbyarbeit, Fundraising, Projektmanagement und Coming-Out-Unterstützung. In Medienarbeitsgruppen arbeiten die Teilnehmenden praktisch an Zeitungen, Forum-Theater, Videos, Fotos, Kampagnen, Websites etc. Neben dem inhaltlichen Seminarprogramm spielt die gemeinsame Freizeit eine große Rolle. Die Teilnehmenden gestalten gemeinsam und eigenverantwortlich ihre Freizeit, organisieren Sportaktivitäten, Film- und Karaokeabende und feiern Partys.
Umsetzung
"After a film about homophobia we discussed the ways we can recognize aggression and talked about homophobia in schools and in society. We made an inventory of the ideas how we could fight homophobia. At the end we played a role game (simulation) about a situation at work in which the boss is homophobic. In the evaluation of the movie and the role game we shared our experiences with homophobia." (Tali aus Israel)
Die Umsetzung während des Seminars erfolgt in drei Hauptteilen:
- Morgens arbeiten die Teilnehmenden im Plenum oder in Kleingruppen an einem bestimmten Themenkomplex. Die Workshops am Morgen werden zum Teil vom Team, zum Großteil aber von den Teilnehmenden selbst geleitet. Es gibt ein tägliches Treffen, bei dem die Teilnehmenden, die einen Workshop leiten, diesen gemeinsam mit dem Team vorbereiten. Neben dem thematischen Schwerpunkt der Workshops erarbeitet das ehrenamtliche Vorbereitungsteam im Vorfeld der Begegnung die "Workshop-Guidelines", die denjenigen Delegationen oder Teilnehmenden zur Verfügung gestellt werden, die Workshops gestalten wollen. Neben den Handreichungen zum Aufbau und zur bewusst und deutlich interaktiven Ausgestaltung finden sich in diesen Guidelines auch die themenübergreifenden gemeinsamen Regeln der Workshops wie zum Beispiel: "the LBGT-movement is about freedom and emancipation", "what are our visions, what should we fight for", "workshops are about empowering participants", "follow gender-mainstreaming", "use gender-sensitive language","encourage female participants", "include the women/feminist aspect in every aspect of the workshop", "use examples for all the participants", "be inclusive", "have equality in every aspect always as one of the basics in your workshop" etc.
- Nachmittags arbeiten die Teilnehmenden in national gemischten Medienarbeitsgruppen, die über die gesamte Woche als feste Gruppen bestehen bleiben. Jede Gruppe überlegt, welche gemeinsame Aussage sie zum Thema machen, wie sie das Gesamtthema ausgestalten oder welches Unterthema sie mittels des Mediums bearbeiten möchte. So werden im Laufe des Seminars z. B. Videoclips, Radiosendungen, Zeitungen, Fotoshows, Internetseiten etc. zu den gewählten Themen erstellt. Diese Vorgehensweise dient zwei Zielen: Zum einen findet hier konkretes interkulturelles und inhaltliches Lernen über die gemeinsame Auseinandersetzung mit dem Thema und die Einigung darüber statt, wie und mit welcher Aussage das Thema umgesetzt werden soll. Damit bieten die Medienarbeitsgruppen die Möglichkeit, sehr intensiv an und mit den Meinungen und Erfahrungen der einzelnen Teilnehmenden zu arbeiten, da in der Kleingruppe intensives Arbeiten möglich ist und durch die Arbeit an einem bestimmten "Produkt" alle aktiv in den Diskussionsprozess eingebunden sind. Zudem ermöglicht die konstante Zusammensetzung der Gruppe die Arbeit in einer vertrauensvollen Atmosphäre, in der ggf. auch Sprachbarrieren überbrückt und zurückhaltendere Teilnehmende gezielt gefördert werden können. Zum anderen dienen die Medienarbeitsgruppen der Medienkompetenzentwicklung. Die Teilnehmenden lernen, die Medien zu nutzen, um die erlernten Techniken nach dem Seminar zu Hause einsetzen zu können.
- Dritter Hauptbestandteil der Seminarstruktur sind die täglich stattfindenden Evaluationsgruppen. Auch diese Kleingruppen sind national gemischt. Die Evaluationsgruppen reflektieren den jeweiligen Tag inhaltlich, methodisch-didaktisch und organisatorisch und haben in allen genannten Bereichen direkten Einfluss auf die weitere Seminargestaltung.
Neben den beschriebenen thematischen Morgeneinheiten und den Medienarbeitsgruppen am Nachmittag fördern durchgängig eingesetzte interaktive Methoden und weitere feste Bestandteile des Seminars den Gruppenbildungsprozess: ein gemeinsames Warming-Up der Gruppe am Morgen und freiwillige "Committees" in der Mittagspause (ein Komitee, das für die Dokumentation des Seminars und den gemeinsamen Bericht zuständig ist, sowie ein Komitee, das den Freizeitbereich (Sport, Kneipe, Disko, Partys etc.) organisiert.
Eine eigene Gruppe, die sowohl nachmittags als auch während der "Freizeit" tagte, war die "Tool-Kit-Gruppe". Im Vorfeld des Seminars wurden die Teilnehmenden gebeten, "Best practice"-Beispiele der LBGT-Arbeit mitzubringen. Die "Toolkit"-Gruppe hat die Beispiele dann während des Seminars gesammelt und eine umfangreiche Dokumentation erarbeitet. Außerdem enthält das Toolkit Hintergrundtexte zu verschiedensten Themen (von Queer-Theory über Queer-Politics bis zu Sozialismus und Queerness), Links, Einzel-Methoden und Anregungen, wie man Workshops, Aktionen und Seminare vorbereitet, durchführt und nachbereitet. Die Mischung aus Theorie und Praxis ermöglicht den späteren Gebrauch gemäß den individuellen und organisations- bzw. länderspezifischen Bedürfnissen.
Politisierung durch "Queer Easter"
Anhand konkreter Beispiele und Teilnehmer/-innenberichte soll im folgenden erläutert werden, wie das Queer-Easter-Seminar die Teilnehmenden motiviert, sich in ihren Heimatländern und darüber hinaus politisch zu engagieren.
Länderübergreifende Aktivitäten
Internationaler Tag gegen Homophobie am 17. Mai
Am 17. Mai 2005 wurde erstmals in mehreren Ländern der "Internationale Tag gegen Homophobie" begangen. Auch am 17.05.2006 haben NGO’s in mehr als 30 Ländern Aktionen und Demonstrationen durchgeführt. Ziel der Initiatoren ist eine Anerkennung dieses Tages durch die Vereinten Nationen mit dem Ziel, dem Thema weltweit ein größeres politisches Gewicht zu verleihen.
Zu "Queer-Easter" kamen Teilnehmende aus verschiedenen Ländern, die bereits 2005 den Tag in ihrem Land miterlebt oder gar mitgeplant hatten, wie z. B. aus Großbritannien und Polen. Über das Workshop-Angebot eines polnischen Teilnehmenden konnten die Aktiven des Vorjahres ihre Erfahrungen austauschen. Die meisten Teilnehmenden des Workshops hatten jedoch nie zuvor vom Internationalen Tag gegen Homophobie gehört. Der Workshop löste eine Motivationswelle aus und die Beteiligten trafen sich noch mehrmals, um Aktivitäten für diesen Tag in ihren Ländern zu planen. Die Aktivitäten wurden teilweise länderspezifisch realisiert, jedoch gab es auch verbindende Elemente, die allen Aktivitäten eigen sind. Auch haben die Teilnehmenden gemeinsam die Öffentlichkeitsarbeit konzipiert.
Die Erfahrung in diesem Workshop hat den Teilnehmenden verdeutlicht, dass es ein internationales LBGT-Netzwerk gibt, auf das sie zurückgreifen können. Gerade bei der LGBT-Arbeit ist das Bewusstsein sehr hilfreich, Teil einer größeren Bewegung zu sein, weil – vor allem in Ländern, in denen die Diskriminierung sexueller Minderheiten besonders stark ist - die politische Arbeit dafür sehr einsam machen oder sogar gefährlich sein kann. Die Teilnehmenden gehen mit konkreten Aktionsideen und Material für die Öffentlichkeitsarbeit nach Hause. Das Wissen, das sie zur Öffentlichkeitsarbeit erworben haben, können sie für weitere Aktionen nutzen. Teilnehmende von "Queer Easter" waren im Rahmen des Aktionstags in Belarus, England, Österreich, Israel, Slowenien, Polen, den Niederlanden und Deutschland aktiv.
Global Village und IUSY Festival 2006
Bei "Queer Easter" wurde auch ein Großteil der Programmgestaltung der anstehenden internationalen Camps geplant – sowohl von Mitgliedern der veranstaltenden Organisationen als auch von anderen Teilnehmenden, die planten, zu den Camps zu fahren, um diese Aktionen durchzuführen.
Das "Global Village" ist eine Veranstaltung des International Falcon Movement (IFM), an der im Sommer 2006 rund 5.000 Jugendliche aus aller Welt in England teilnehmen. Das Festival der International Union of Socialist Youth (IUSY), an dem rund 7.000 Menschen teilnehmen, findet dieses Jahr in Spanien statt. Für beide Großveranstaltungen haben die Teilnehmenden von "Queer Easter" 2006 Aktivitäten geplant. Innerhalb des offiziellen Programms haben sich Vernetzungs- und Programmgruppen gefunden, die sich in der Seminar-"Freizeit" täglich trafen, um Ideen zu sammeln und zu diskutieren, das Queer-Programm für die internationalen Maßnahmen konkret zu planen sowie die Vorbereitungs- und Durchführungsaufgaben zu verteilen. Ausgangspunkt ist jeweils ein großes "Queer-Zelt" bzw ein "Queer-Raum", in dem Workshops, Diskussionen und Informationen zum Thema angeboten werden. Das Angebot der Osterteilnehmenden geht aber darüber hinaus. So werden auch in anderen Räumen oder Zelten LBGT-Themen-Workshops angeboten, Regenbogenparaden sind vorbereitet, soziale Events und Diskussionsveranstaltungen sollen gestaltet werden.
Vor allem bei den geplanten Workshops wird das während "Queer Easter" entwickelte "Toolkit" eingesetzt werden (siehe oben). Auch die in den Medienarbeitsgruppen entwickelten "Produkte" (z. B. Video-Spot, Photo-Ausstellung, Kampagne, Zeitung, Forum-Theater) werden mit dem Ziel des "awareness-rising" auf den internationalen Camps genutzt.
Positionspapier "For Action Against Homophobia/The Right to Assembly"
Während "Queer Easter” hat eine Gruppe ein Positionspapier für Maßnahmen gegen Homophobie und für die Durchsetzung der Versammlungsfreiheit für LBGT-Communities formuliert. Es verweist auf Ausschreitungen gegen "gay pride events" in Moskau und Israel und fordert ein stärkeres Engagement der unterzeichnenden Organisationen für LBGT-Rechte. Ausdruck dieses Engagements soll unter anderem eine intensive Beteiligung an der Ausrichtung des Internationalen Tags gegen Homophobie sein. Ziel der Verfasser/-innen ist es, dass IFM-SEI, IUSY und ECOSY die Positionen offiziell verabschieden, was bei der IFM-SEI und ECOSY inzwischen geschehen ist.
Entwicklungen in den Ländern der Teilnehmenden
Belarus
Eine LBGT-Bewegung in Belarus existiert momentan quasi nicht. Es gibt nur zwei Clubs in Belarus, in die man theoretisch gehen kann (wenn man über das notwendige Kleingeld verfügt), die Zeitschrift des "Forum Lambda" wurde eingestellt. Unter der Regierung Lukaschenko hat es drei Versuche gegeben, "Gay-Prides" durchzuführen. Sie wurden vom Staat oder den Kommunen behindert oder abgebrochen bzw. erst gar nicht zugelassen (weil kein geeigneter Ort vorhanden sei), teilweise wurden sie von der Polizei aufgelöst. Seit Mitte der 90er Jahre gibt es keine Möglichkeit mehr, einen "Pride" zu organisieren. Privattreffen scheinen der einzige Ausweg. Zu den meisten internationalen LBGT-Webseiten gibt es keinen Zugang für Internet-Benutzer aus Belarus. Einen "Vorteil" hat Schwulsein in Belarus: da es als psychische Krankheit gilt, sind die Chancen relativ "gut", nicht zur Armee eingezogen zu werden. Wider Erwarten gibt es dennoch LBGT-Organisationen in Belarus, wenn auch meist versteckt hinter dem Label "Frauenorganisation" oder "AIDS-Präventions-Organisation".
So nehmen Mitglieder verschiedener belarussischer LGBT-Organisationen sowie der sozialdemokratischen und sozialistischen Jugend seit 2003 an "Queer Easter" teil. Insbesondere "Queer Easter" 2006 hat in Belarus verschiedene Aktivitäten angeregt:
Die belarussischen Organisationen haben am 17. Mai gemeinsame Aktionen durchgeführt; nach Ostern gab es ein Seminar für Jugendliche aus Grodno, um den Internationalen Tag gegen Homophobie vorzubereiten.
Auch die einzelnen Organisationen erfahren durch die Teilnehmenden des Oster-Seminars Veränderung: eine Teilnehmende berichtet: "Am 30. April tagte die Hauptversammlung des Vorstandes der Jungen Sozialdemokraten, eine Organisation, deren Mitglieder eine überwiegend deutlich homophobe Einstellung kundtun und vertreten. Ich habe gemeinsam mit 13 weiteren Mitgliedern vorgeschlagen, innerhalb der Organisation ein LBGT-Komitee für gleiche Rechte zu gründen. Dieser Vorschlag wurde vom Vorstand angenommen!!! Es gab 7 Zustimmungen, 2 Gegenstimmen und 2 Enthaltungen. Das Komitee wird innerhalb der Organisation gegen Homophobie kämpfen und mithilfe des bei "Queer Easter" entwickelten 'Tool Kits' Bildungsveranstaltungen zu LBGT-Themen für Arbeiterjugendliche, Schüler/-innen und Student/-innen entwickeln. So werden wir langfristig versuchen, unsere Organisation von innen heraus zu ändern. 'Queer Easter ' war für uns wie das Durchbrechen des Endes einer Sackgasse". (Liza aus Belarus)
Österreich
Zwei Mitglieder der VSSTÖ (Verband Sozialistischer StudentInnen Österreichs) haben nach ihrer Teilnahme an "Queer Easter" im Jahr 2004 eine Antidiskriminierungskampagne an der Universität Wien durchgeführt, mit der sie auf diskriminierte Gruppen, darunter LBGT-Student/-innen, aufmerksam machen wollten. Im Rahmen dieser Kampagne setzten sie auch den Workshop "How to set up a group" um und gründeten an ihrer Uni eine HoBiT Gruppe (HomoBiTrans) als Tutorium für LBGT-Student/-innen. Heute gehören der Gruppe mehr als 15 Student/-innen an, die sich wöchentlich treffen.
Die Gründer/-innen des Tutoriums waren schon vor "Queer Easter" politisch aktiv, haben sich jedoch noch nicht ausdrücklich für LBGT-Belange eingesetzt, was sich nach der Teilnahme an dem Seminar änderte.
Die österreichischen Teilnehmenden der Sozialistischen Jugend Österreichs (SJÖ) des "Queer Easter" 2006 haben sich während des Seminars für die Planung des 17. Mai mit weiteren Jugendorganisation vernetzt, um gemeinsam für LBGT-Belange aufzutreten. Sie haben außerdem, inspiriert durch "Queer Easter" , einige Gruppenabende zum Thema Homosexualität durchgeführt, entwickeln zurzeit Materialien zum Thema und planen einen Filmabend zum Thema Intersexualität. Eine Teilnehmende kommentierte hierzu: "... und das würd’s sicher nicht geben, wenn ich nie bei ‚Queer Easter’ gewesen wär’, weil ich mir sonst in der SJÖ ziemlich allein vorgekommen wär’, und da hätt’ ich’s aufgegeben" (Martina aus Österreich).
Slowenien
Die erste Teilnehmerin des Mladi Forum aus Slowenien engagiert sich, seit sie 2004 erstmals dabei war, für die Beteiligung auch heterosexueller Mitglieder ihrer Organisation an "Queer Easter" , da ein Eintreten gegen Diskriminierung und für Diversity nur gemeinsam politischen Erfolg haben kann. Konsequenterweise hat sie bei "Queer Easter" 2006 einen Workshop zur Frage angeboten, welche Bedeutung das Engagement Heterosexueller für LBGT-Belange hat, was gemeinsames politisches Mitgestalten von Gesellschaft heißt und was Jugendliche und Jugendverbände konkret im Bereich Equality und Diversity tun können.
Die 2006 teilnehmende Referentin für Menschenrechte der Jugendorganisation der Sozialdemokratischen Partei ist seit dem Seminar und dem Workshop "How to set up a group" mit großem Engagement dabei, eine organisationseigene LBGT-Gruppe aufzubauen, wofür sie in Vorstand und Gliederungen wirbt und Verbündete sucht.
Fazit
"Queer Easter" versammelt unterschiedliche Zielgruppen. Rund die Hälfte der Teilnehmenden ist bereits politisch engagiert, jedoch meist nicht für LGBT-Belange. Die Mehrheit der anderen Hälfte ist LBGT-engagiert, ohne dies notwendigerweise als politische Aktivität zu verstehen. Eine Minderheit ist unorganisiert und politisch nicht aktiv, aber interessiert am Thema. Insgesamt ist vielen Teilnehmenden noch nicht so recht bewusst, dass ihre individuellen Belange auch die Belange einer gesellschaftlichen Gruppe sind. Ein solches Bewusstsein entwickeln sie in der Regel während des Seminars und zwar schon angesichts der Tatsache, dass sie sich auf einer LBGT-"Insel" befinden, auf der sie feststellen, dass gemeinsames Handeln das Selbstbewusstsein und die Durchsetzungskraft stärkt. Darüber hinaus werden die Teilnehmenden durch das Zusammentreffen mit den vielen politisch engagierten Menschen inspiriert. Mit diesem "neuen" Bewusstsein werden sie dann nicht allein gelassen, sondern von "Queer Easter" unterstützt, Handlungsstrategien für die Arbeit in ihren Ländern und für die internationale Kooperation zu entwickeln. Durch die Kompetenzen, die sie erwerben, sind sie in der Lage, etwas aus ihrem "Wir-Gefühl" zu machen und im Anschluss an das Seminar auch eigenständig Aktivitäten zu entwickeln. Mitunter verändert sich bei den Teilnehmenden auch die gesellschaftliche Verortung der eigenen Person durch die Teilnahme am Seminar. Die Aussage einer 22-jährigen Teilnehmerin aus Großbritannien verdeutlicht dies:
"Ich bin über eine Lesbenorganisation in meiner Stadt zu 'Queer Easter' gekommen. Über das Konzept hinter "Queer" hatte ich vorher wenig gehört und eigentlich eine eher negative Haltung dazu. Ich definierte mich nach einem schweren Coming-Out bewusst als lesbisch. Im "Identity"-Workshop bei "Queer Easter" wurden Fragen aufgeworfen wie 'Warum gibt es sexuelle Identitäten?', 'Warum müssen wir in einer lesbischen oder schwulen Community leben, um uns wohlzufühlen?'. Das Nachdenken über diese Fragen hat bei mir eine Menge ausgelöst, da ich zufrieden war, 'meine' Community gefunden zu haben. Aber irgendwie stimmt es auch, dass man sich überall, nicht nur innerhalb der eigenen Community wohlfühlen sollte. In diesem Zusammenhang macht das Queer-Konzept Sinn, das davon ausgeht, dass sexuelle Identität fließend ist und dass, würde dies gesellschaftlich akzeptiert werden, Kategorisierungen wie 'schwul' oder 'lesbisch' überflüssig wären. Ich würde damit jedenfalls nicht mehr zu einer – teils von der Mehrheitsgesellschaft ausgegrenzten – Minderheit gehören. Während des Seminars habe ich verstanden, dass es nicht selbstverständlich ist, dass die Verantwortung für mein Anderssein bei mir liegt, sondern dass vielleicht eher die Gesellschaft so offen sein sollte, verschiedene Menschen verschieden sein zu lassen, ohne sie für immer auf eine Kategorie festzulegen." (Cloe aus England)
Die Berichte aus den ausgewählten Teilnehmerländern zeigen, dass im Ergebnis des Seminars ganz konkrete politische Aktionen stattfinden, dass die Koordination sowohl von Aktivitäten innerhalb der Länder, als auch international voranschreitet, und dass LGBT-spezifische Bildungsarbeit in den Organisationen aufgenommen oder intensiviert wird.
"Nicht jede/r bei 'Queer Easter' war so politisiert wie ich, aber ich glaube, dass die Teilnahme vielen von uns verdeutlicht hat, dass innerhalb unserer eigenen Organisationen und/oder der internationalen Bewegungen insgesamt eine dringende Notwendigkeit für bessere Koordination, strategische Kampagnenarbeit und gelebte Solidarität besteht, um LBGT-Rechte zu stärken als Teil eines breiter angelegten sozialistischen Programms." (Lucas aus Spanien).
Raana Gräsle ist Bildungsreferentin bei der Jugendbildungsstätte Kurt Löwenstein und dort zuständig für die internationalen Bildungsseminare.
Anschrift: Jugendbildungsstätte Kurt Löwenstein, Freienwalder Allee 8-10, 16356 Werneuchen / Werftpfuhl.
E-Mail: r.graesle@kurt-loewenstein.de
Candida Splett ist Referentin für Öffentlichkeitsarbeit. Anschrift: Jugendbildungsstätte Kurt Löwenstein, Freienwalder Allee 8-10, 16356 Werneuchen / Werftpfuhl.
E-Mail: c.splett@kurt-loewenstein.de