Post aus Israel: Ein folgenreicher Jugendaustausch
Hannah Kesselmeyer berichtet in einem Brief, wie ein von der Jugendbildungsstätte Kurt Löwenstein veranstalteter deutsch-israelischer Jugendaustausch ihr Leben verändert hat.
Hier geben wir ihn im Wortlaut wieder:
"Liebes Team der Jugendbildungsstätte Kurt Löwenstein,
vor einiger Zeit habe ich an einem Schüleraustausch teilgenommen, den Sie organisiert hatten:
Im Oktober 2012 waren Schüler der Ytzhak-Rabin-Highschool in Kiryat Yam (nahe Haifa) in Deutschland und im April 2013 waren wir, Schüler des Einstein-Gymnasiums Neuenhagen, in Israel.
Dieser Schüleraustausch hatte großen Einfluss auf meinen weiteren Weg.
Doch lassen Sie mich von Anfang an berichten:
Vor Beginn des Austausches war ich sehr aufgeregt und neugierig: auf die Menschen, auf die Ausflüge, Themen, Gespräche, das Beisammensein.
„Unsere“ Israelis entpuppten sich als sehr offen, interessiert, interessant, humorvoll, fröhlich und warmherzig. Es war spannend, sich über Länder, Herkunft und Geschichte auszutauschen oder Berlin zu erkunden. Ein besonderes Erlebnis war der gemeinsame Besuch des Konzentrationslagers Sachsenhausen: Juden aus Israel und deutsche Jugendliche begingen gemeinsam eine Gedenkzeremonie.
Unsere gemeinsame Zeit war aber nicht nur von ernsten Themen und vielfältigen Informationen begleitet, sondern vor allem von Freude und Spaß angefüllt. Beim israelischen Abend mit traditionellen Tänzen und köstlichem Essen, beim Billard spielen oder in der S-Bahn – es gab fast immer etwas zu lachen. Wir haben diese Zeit in Deutschland wirklich genossen!
Als wir uns in Israel wiedersahen, war die Freude natürlich groß. Auch hier haben wir viel zusammen unternommen, z.B. die kleine Hafenstadt Akko besichtig oder am Strand gegrillt.
Israel kam mir so bunt vor, so lebendig. In den Städten ist es laut und chaotisch, doch begegnet man dem „balagan“ (arab. für Chaos) mit großer Gelassenheit. Die Natur ist rauer und wilder als in Deutschland, birgt aber unendliche Schönheit. Das Meer … Herrlich!
In Israel kann man auf einzigartige Weise Leben atmen, riechen, schmecken, tanzen …
Israel hatte mit seinen Facetten großen Eindruck auf mich gemacht. So regte sich schon bei der Rückreise in mir der Wunsch danach, dieses Land näher kennen zu lernen, in die israelische Gesellschaft einzutauchen. Als ich auf dem Rückflug Bernard P. Bielmann, der den Austausch begleitete, von meinem Wunsch erzählte, mich länger in Israel aufzuhalten, schlug er mir einen Internationalen Jugendfreiwilligendienst (IJFD) vor und nannte gleich eine passende Organisation.
Diese Idee, nach dem Abitur für einige Monate in Israel einen solchen Dienst zu tun, reifte langsam zu einem Plan heran. Ich besprach den Gedanken mit meinen Eltern, informierte und bewarb mich.
Letzten Endes bin ich mit der Organisation „Dienste in Israel“ hier her geflogen. Seit August 2014 lebe und arbeite ich in Haifa.
Zusammen mit einigen anderen Volontärinnen wohne ich am Hang des Berges Carmel. Wir alle arbeiten in „Elternheimen“ eines Vereins für europäische Juden (Irgun Olej Merkas Europa).
Unsere Arbeit sieht folgendermaßen aus: Essen anreichen, in der Physiotherapie helfen, Tische decken, Kaffee und Kuchen ausgeben, Beschäftigung mit den Bewohnern, Freude verbreiten, Gespräche führen, Hände halten, Lachen und Weinen teilen …
Sie ahnen nicht, wie erfüllend diese Arbeit ist! So viel Freude!
Während unseres Jugendaustauschs haben wir in einem Elternheim in Haifa Gretel Baum-Mérom besucht. Frau Baum-Mérom war damals schon 100 Jahre alt und wusste viel über Deutschland vor dem Krieg, den Holocaust und Israel in den 1930er Jahren zu berichten. Das Gespräch mit ihr hat einen bleibenden Eindruck hinterlassen, darum habe ich sie, zurück in Haifa, wieder besucht. Daraus entstanden ist eine Einladung zum Kaffeetrinken bei Gretel, die eine Freundin und ich fast wöchentlich wahrnehmen. Auch diese Gespräche sind sehr, sehr nett und hochinteressant.
Ende April werde ich meinen Einsatz beenden und dann nach Deutschland zurückkehren. Eine gewisse Verbundenheit mit Israel wird mich wohl ein Leben lang begleiten. Ebenso wie der Wunsch, meine Erfahrungen später einmal – beispielsweise in der Begleitung an Demenz leidender Menschen – einzusetzen und weiter zu vertiefen.
Zum Abschluss möchte ich einen Gedanken anführen, der mir sehr gut gefällt.
Vor kurzer Zeit fand in Jerusalem die „Conference for honouring the volunteers from abroad“ statt, eine Veranstaltung zu Ehren der ausländischen Volontäre in Israel. Es wurden einige Ansprachen gehalten, die eine besondere Idee verband:
Wer in Israel Volontär war, ist danach Botschafter für Israel.
Dieser Gedanke enthält für mich zwei wichtige Aspekte. Zum einen sind wir Botschafter für das Land und die Menschen dort. Wir können von dem berichten, was wir in Israel als Realität kennengelernt haben. Wir alle wissen, dass Medien die Lebensrealität von Menschen oftmals verzerrt wiederspiegeln. Aus diesem Grund halte ich diesen Austausch – nicht nur im Bezug auf Israel – für außerordentlich wichtig.
Zum anderen sind wir in gewisser Weise Botschafter für jene, die die Shoa mit- und überlebt haben. Nicht mehr lange, und es wird aus dieser Zeit nur noch aus zweiter Hand berichtet werden. Die letzten Überlebenden sind eben jene älteren Herrschaften, die große Teile der Volontäre in Israel jeden Tag umsorgen. Wenn nicht wir ihre Geschichten weitererzählen, wer dann?
Sie sehen, dass die Arbeit als Volontär sowohl für die Gegenwart, als auch für die Zukunft eine große Bedeutung hat.
Ich möchte noch einmal betonen, wie ausgesprochen gut mir der Schüleraustausch damals gefallen hat. Der Austausch selbst, wie auch die unerwarteten Folgen, haben mein Leben sehr bereichert.
Mit herzlichen Grüßen,
Hannah Kesselmeyer"
Ein Bericht über den Jugendaustausch 2013 ist hier nachzulesen.