„Ich kann alles sein, was ich will“

16.12.2015 | 

Auf der Fachtagung "Politische Bildung mit Kindern zum Thema Vielfalt" wurde am 15.12.2014 auf das Projekt "Vielfalt leben lernen" zurück geblickt.

„Ich kann alles sein, was ich will“

Es geht: Außerschulische politische Bildung mit Kindern funktioniert. Und: Es gelingt dem Team der Jugendbildungsstätte Kurt Löwenstein, den Kindern auf einer fünftägigen Seminarfahrt „beglückende Erfahrungen der Anerkennung und Zugehörigkeit in heterogenen Gruppen zu ermöglichen“, wie Katja Zschirpke die Ergebnisse ihrer Evaluation zusammenfasst: Sie hat das Projekt wissenschaftlich begleitet, das mit dem Jahr 2014 zuende ging, und das den Titel „Vielfalt leben lernen“ trug.

Als Abschluss fand am 15. Dezember 2014 eine Fachtagung im Luise-und-Karl-Kautsky-Haus in Berlin-Friedenau statt. Unter dem Titel „Ich kann alles sein, was ich will“ ging es um Politische Bildung mit Kindern zum Thema Vielfalt. Kinder sind als Zielgruppe politischer Bildung nach wie vor eine Ausnahme, so dass die Frage nach den gemachten Erfahrungen über das Projekt hinaus von Interesse ist. Zugleich stand die Frage im Mittelpunkt, inwiefern es gelungen ist, Kindern das Thema Vielfalt näher zu bringen.

„Ich kann alles sein, was ich will“

Das Projekt „Vielfalt leben lernen“ wurde gefördert im Programm „TOLERANZ FÖRDERN - KOMPETENZ STÄRKEN“ des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend , dessen Vertreter auf der Fachtagung anwesend war. Bettina Dettendorfer beschreibt die Ziele des Projekts folgendermaßen: „Kinder sollten Vielfalt als Bereicherung schätzen lernen und den Umgang mit Verschiedenheit einüben. So sollte der Grundstein dafür gelegt werden, dass Kinder eine inklusive Schule wertschätzen lernen, in der sich alle einbringen können“. Zugleich sollte Vielfalt als Norm begriffen werden.

Christine Reich und Bettina Dettendorfer
Christine Reich und Bettina Dettendorfer

Zusammen mit Christine Reich stellte Dettendorfer das Projekt und seine Ergebnisse auf der Fachtagung vor. Als Bildungsreferentinnen der Jugendbildungsstätte Kurt Löwenstein haben die beiden das Projekt von Beginn an begleitet. Das Projekt wurde in Kooperation mit der Jugendbildungsstätte Forsthaus Hasenacker aus Nordrhein-Westfalen durchgeführt.

„Vielfalt leben lernen“ war ein für drei Jahre und drei Monate gefördertes Modellprojekt, das sich an sechs- bis zwölfjährige Kinder – in Berlin, Brandenburg und NRW also genau im Grundschulalter – richtete. Es fand in Kooperation mit sechs verschiedenen Grundschulen statt, je zwei pro Bundesland. Im Zentrum standen Seminarfahrten in die beiden Bildungsstätten, zumeist für fünf Tage, bei denen an der Erlebniswelt der Kinder angeknüpft wurde und verschiedene Aspekte von Vielfalt und Zusammenleben betrachtet und ausprobiert wurden. Darüber hinaus fanden Projekttage und Unterrichtseinheiten an den Schulen statt, ein Ideenwettbewerb „Gemeinsam gegen Ausgrenzung“ und verschiedene Projekte zur Schulentwicklung: Fortbildungen für Lehrer_innen und Multiplikator_innen, Kollegiale Beratung an den Schulen, Elternbriefe und nicht zuletzt Seminare für Schülervertreter_innen, auf denen diese konkrete Ideen zur Verbesserung ihrer Schule entwickeln konnten. Insbesondere der Bereich der Mitbestimmung an Grundschulen müsse in Zukunft dringend gestärkt werden, machte Dettendorfer deutlich, und die Fortbildungsangebote für Lehrer_innen sollten ausgebaut werden.

Prof. Annedore Prengel
Prof. Annedore Prengel

Dem Bericht von Reich und Dettendorfer voran ging ein interessantes Referat der emeritierten Professorin Annedore Prengel von der Universität Potsdam, in dem sie einen Überblick über die „Pädagogik der Vielfalt“ gab. Prengel machte darin deutlich, dass alle pädagogischen Ansätze zum Thema Vielfalt letztlich Politische Bildung darstellen, ginge es doch um die Demokratisierung der Gesellschaft. Ziel sei die Wertschätzung von Gleichheit und Verschiedenheit gleichermaßen.

So sollten Kinder erkennen, dass sie eine heterogene Gruppe aus Menschen mit verschiedenen Stärken, Interessen, Elternhäusern etc. bildeten, ja sogar jede_r in sich selbst vielschichtig sei, dass aber diese Verschiedenheit eine Bereicherung darstelle und nicht dazu benutzt werden dürfe, daraus eine Hierarchie abzuleiten: Alle sind gleich viel wert und haben die gleichen Rechte. Die Wertschätzung von Vielfalt bedeute deshalb, so Prengel, auch die Wertschätzung von Freiheit: „Ich kann alles sein, was ich will“ – wie das Motto der Veranstaltung lautete – und muss nicht befürchten, deshalb benachteiligt oder ausgegrenzt zu werden.

Katja Zschirpke
Katja Zschirpke

Dass genau das weitestgehend in einer Seminarwoche gelingt, zu diesem Schluss kommt die Evaluatorin: Katja Zschirpke hat Projektfahrten und Projekttage wissenschaftlich durch Fragebögen, Interviews und teilnehmende Beobachtung analysiert. Die Ergebnisse des Berichts über das Projekt „Vielfalt leben lernen“ stellte Zschirpke auf der Fachtagung vor.

Darin lobte sie die Kooperation zwischen der Bildungsstätte und den Schulen und hob besonders das pädagogische Handeln der Teamenden hervor, die die Seminare durchführten: Es habe keinen Hinweis auf „verletzendes Handeln“ gegeben, was leider bei Beobachtungen von Unterrichtsstunden in Schulen häufiger der Fall sei. Stattdessen würde es den Teamenden gelingen, den Kindern Selbstachtung und die Achtung anderer zu vermitteln und so ganz praktisch zu verdeutlichen, was es bedeute, Vielfalt in Gemeinsamkeit anzuerkennen.

Zschirpke bezeichnete die Veranstaltungen als „erfolgreich, wohltuend und lehrreich“ für die Kinder, die sich anerkannt und ernst genommen gefühlt hätten. Professorin Prengel ergänzte, dass man die Wirkung eines solchen Seminars nicht unterschätzen sollte: „Vom Bildungssystem können positive Impulse in die Gesellschaft gehen. Eine Woche, in der Kinder gehört werden, kann ein solcher Impuls sein“, so Prengel. Das Thema Vielfalt sei zudem ein besonders geeignetes für die Politische Bildung mit Kindern.

„Ich kann alles sein, was ich will“

Dettendorfer und Reich stimmten dem zu. Ihr Fazit war, dass Kinder sogar eine sehr offene und begeisterungsfähige Zielgruppe Politischer Bildung seien, durchaus fähig zur inhaltlichen Auseinandersetzung, vorausgesetzt der methodische Zugang gelinge. Bisher gebe es für das Grundschulalter noch nicht viele spezifische Methoden. Im Projekt „Vielfalt leben lernen“ wurden deshalb viele Ansätze neu entwickelt. Der „Methodenschatz“ sollte weitergegeben werden, betonte Zschirpke, und Christine Reich kündigte eine Veröffentlichung an: In Kürze wird über diese Webseite eine schriftliche Methodensammlung zu beziehen sein. (Die Projektdokumentation inkl. methodischen Handreichungen liegt vor: Hier steht sie zum Download bereit. Sie kann auch in gedruckter Form bestellt werden.)

Am Schluss der Fachtagung stand ein Ausblick, bei dem das Sinnvolle und das Mögliche wieder einmal auseinander klafften: Alle Anwesenden waren sich einig, dass Politische Bildung mit Kindern möglich und wichtig sei und ausgebaut werden müsste. Dettendorfer berichtete, dass der Wunsch der Schulen groß sei, die Kooperation fortzusetzen und weitere Grundschulen Interesse an ähnlichen Kooperationen bekundet hätten, dass aber mit Ende des Projekts die finanziellen Möglichkeiten hierfür nicht gegeben seien.

Finanzielle Unterstützung für „Jugendbildung“ wird zur Zeit in der Regel nur für Teilnehmende ab einem Alter von zwölf Jahren gewährt. Christine Reich, Geschäftsführerin der Jugendbildungsstätte Kurt Löwenstein, versprach, sich auf allen Ebenen dafür einzusetzen, dies zu ändern und Politische Bildung mit Kindern stärker in den Fokus zu rücken. Das Projekt „Vielfalt leben lernen“ kann dafür wohl als positives Beispiel dienen.

Eine ausführliche Darstellung des Projekts „Vielfalt leben lernen" ist hier zu finden.

Zum Download steht hier die Projektdokumentation bereit: Grundlagen, Ergebnisse und methodische Handreichungen

Das Projekt wurde gefördert vom Programm „TOLERANZ FÖRDERN - KOMPETENZ STÄRKEN“ des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend.

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