Solidarität statt Spaltung
Antrag abgelehnt: Die AfD hat in Brandenburg die Jugendbildungsstätte Kurt Löwenstein und SJD – Die Falken ins Visier genommen. Herausgekommen ist ein einmütiges Bekenntnis zur Solidarität und zur Bedeutung aller Kinder- und Jugendverbände und Jugendbildungsstätten.
Mit den Stimmen aller demokratischen Fraktionen wurde am 23. September 2020 im Brandenburger Landtag der Antrag der AfD-Fraktion abgelehnt: Diese hatte beantragt, dem Kinder- und Jugendverband Sozialistische Jugend Deutschlands – Die Falken sowie der Jugendbildungsstätte Kurt Löwenstein e.V. sämtliche öffentlichen Fördermittel zu streichen und die Rückzahlung bereits erhaltener Fördergelder durchzusetzen. Auch bei der Bundesregierung und dem Berliner Senat sollte sich die Landesregierung dafür einsetzen, die Falken und ihre Bildungsstätte nicht mehr zu unterstützen.
Wie die Falken Brandenburg und die Jugendbildungsstätte Kurt Löwenstein in Ihrer gemeinsamen Erklärung erläutern, reihte sich dieser Antrag in eine „seit langem angewandte Strategie der AfD ein, unseren Verband und seine Bildungsstätten in Parlamenten anzugreifen und unsere öffentliche Förderung zu diskreditieren“. Britta Ernst, Ministerin für Bildung, Jugend und Sport, spricht in der Landtagsdebatte von einer „Flut von Anfragen gegen die Falken und die Jugendbildungsstätte“: Vier Parlamentarische Anfragen habe es in Brandenburg, sieben in Berlin gegeben. Auch auf Kreistagsebene waren mehrere entsprechende Anfragen und Anträge gestellt worden.
Sie alle gingen in die gleiche Richtung: Den Falken wurden „klare Bezüge zum Linksextremismus“ unterstellt, sie stünden nicht auf dem Boden des Grundgesetzes. In allen Antworten auf die Anfragen der AfD waren diese Unterstellungen zurückgewiesen worden: Es gäbe keine Erkenntnisse, dass die Aktivitäten der Falken gegen die verfassungsmäßige Ordnung gerichtet seien.
Im Vorfeld der Antragsberatung haben die Mitglieder des Landesjugendrings Brandenburg geschlossen ihre Solidarität gegenüber den Falken und der Jugendbildungsstätte erklärt. Zusammen mit vielen anderen Organisationen und Privatpersonen konnten sich der Verband und die Bildungsstätte über eine Welle der Unterstützung freuen.
So kamen auch viele Unterstützer_innen zur Kundgebung, die parallel zur Debatte vor dem Landtag in Potsdam stattfand. Die Falken Brandenburg hatten unter dem Motto „Mehr statt keine Fördermittel – Rassismus und Hetze sind für UNS keine Alternative!“ dazu aufgerufen.
Im Landtag brachte zeitgleich Steffen John für die AfD den Antrag ein. Er forderte eine Beobachtung der Falken durch den Verfassungsschutz und nannte das sozialistische Erziehungsideal der Falken, das er mit dem der DDR gleichsetzte, „gefährlich“. In der Bildungsstätte Kurt Löwenstein würden „Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene indoktriniert“.
Als erster Redner antwortete Hardy Lux (SPD), der den Wahlkreis Barnim I im Landtag vertritt. Er zeichnete ein gegenteiliges Bild, indem er den Falken für ihre Arbeit dankte: „Seit über 30 Jahren leisten die Falken in Brandenburg einen unschätzbaren Beitrag für eine lebendige Zivilgesellschaft. Ihre Projekte schaffen für tausende Jugendliche die Möglichkeit, sich auszuprobieren, neue Dinge kennenzulernen und Verantwortung für sich und auch andere zu übernehmen“, so Lux. Ihr Ziel sei eine pluralistische Gesellschaft, in der niemand diskriminiert werde und alle gleiche Teilhaberechte hätten.
Und genau dieses Gesellschaftsbild widerspräche dem der AfD – hier läge ihr wahres Problem; sie wollten sie die engagierten demokratischen Jugendverbände verunsichern und einschüchtern. Das aber werde nicht gelingen: „Alle Demokrat_innen in diesem Haus stehen heute an der Seite der Falken und ihrer Jugendbildungsstätte Kurt Löwenstein.“
Christine Reich, Geschäftsführerin der Jugendbildungsstätte Kurt Löwenstein, sieht in dem Antrag der AfD „nicht nur einen Angriff auf einen linken Jugendverband, sondern auf alle grundlegenden Institutionen des demokratischen Zusammenlebens in Deutschland“.
Ebenso interpretiert Isabelle Vandre, die für „Die Linke“ spricht, die „Flut von Anfragen und Anträgen“. Der Zivilgesellschaft sei klar: „Gemeint sind wir alle, die wir nicht müde werden, dem zu widersprechen, wofür die AfD steht.“ Bei der Arbeit von Jugendverbänden und Jugendbildungsstätten ginge es nämlich gerade um „Empowerment als Voraussetzung für die Demokratieentwicklung in dieser Gesellschaft“. Dazu gehöre es auch, Ideen einer gerechteren Welt zu entwickeln.
Wie auch die anderen Redner_innen im Landtag macht Vandre deutlich, dass sie „an der Seite aller Jugendverbände im Landesjugendring“ stehe.
Bemerkenswerterweise vertritt Kristy Augustin, Jugendpolitikerin der CDU, in Ihrem Statement genau die gleiche Position. Sie verweist auf die Vielfalt der im Landesjugendring organisierten Verbände, die überall in Brandenburg daran arbeiten würden, demokratische Grundsätze zu vermitteln. Die „Sozialistische Jugend Deutschlands“ sei dabei zwar „nicht die erste Adresse für die CDU“, sie habe sie aber als engagierten Verband kennengelernt und die Zusammenarbeit im Landesjugendring sehr geschätzt. „Demokratie braucht Vielfalt. Und dazu zählt natürlich auch die Arbeit linker Jugendorganisationen“, erklärt Augustin.
Sie bemerkt spöttisch, dass die AfD, selbst vom Verfassungsschutz beobachtet, nun wohl dessen Aufgaben übernehmen und über linksextremistische Bezüge urteilen wolle. Als Beleg dafür müsse z.B. herhalten, dass die Falken ihren Sitz auf dem Potsdamer „Freiland“-Gelände hätten. Dies hatte Steffen John bei der Antragsbegründung erneut vorgebracht, mit der Begründung, dass dort u.a. „Konzerte linksextremer Bands“ stattfänden.
Auf die Doppelmoral der AfD, die jetzt nach dem Verfassungsschutz rufe, ihn aber kritisiere, wenn es um ihre eigene Partei gehe, weist auch Péter Vida (BVB/ Freie Wähler) hin, der den Wahlkreis Barnim II vertritt. Er macht deutlich, dass der Antrag gar nicht in den Landtag gehöre. Als politisches Gremium könne dieser nicht über die Verfassungswidrigkeit von Organisationen entscheiden.
Ricarda Budke (Bündnis 90 / Die Grünen) beschreibt, dass die Jugendbildungsstätte Kurt Löwenstein junge Leuten mit praktischen Angeboten wie Berufsorientierung oder der Fortbildung von Klassensprecher_innen auf ihrem Weg in die Gesellschaft unterstütze, und stellt, an die AfD gewandt, fest: „Die Angebote der Falken richten sich gezielt an die Kinder und Jugendlichen, die sowieso schon weniger Zugang zu Bildung haben, und genau dafür wollen Sie mit Ihrem Antrag Gelder streichen.“
Zum Schluss der Debatte ergreift Bildungs- und Jugendministerin Britta Ernst (SPD) das Wort. Sie verweist auf das weite und heterogene Spektrum der Jugendverbände, die aber dennoch in ihrem Eintreten für Menschenwürde, Demokratie und Rechtsstaatlichkeit vereint seien. Daher sei der Antrag der AfD ein „Angriff auf Pluralität und Meinungsfreiheit“. Mit dem Versuch, Einzelne zu diffamieren und zu diskreditieren, lege sich die AfD mit allen Jugendverbänden an, wie deren gemeinsame Erklärung beweise.
Die in den Reden geäußerte Solidarität zeigt sich schließlich auch im Abstimmungsverhalten: Alle demokratischen Fraktionen stimmen gegen den Antrag der AfD.
Mehrere Redner_innen haben in Ihren Ausführungen einen historischen Bezug hergestellt. So erinnerte Hardy Lux gleich zu Beginn seiner Rede an die Person Kurt Löwensteins, der als Sozialdemokrat und Reformpädagoge vor den Nazis ins Exil flüchten musste, nachdem die SA ihn in seiner Wohnung überfallen hatte.
Sowohl Isabelle Vandre als auch Ministerin Ernst machten deutlich, dass die AfD eine Organisation angreife, „die seit Beginn des 20. Jahrhunderts sich für Kinder- und Jugendrechte einsetzt und die vorbildliche Arbeit geleistet hat, und die 1933 verboten wurde“, wie Ernst zusammenfasst.
Dass sich die AfD in diese Tradition stelle, spräche für sich, so Ernst. Sie schließt ihre Rede mit den an die AfD-Fraktion gerichteten Worten: „Ich glaube, es ist ganz deutlich: Nicht die Falken haben ein Problem mit der Demokratie, Sie haben es!“
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