100 Jahre Johannaheim
Im Jahr 2007 wurde das 100-jährige Jubiläum der Einweihung des Johannaheims gefeiert - des Gebäudekomplexes, der heute die Jugendbildungsstätte Kurt Löwenstein beheimatet und seinerzeit als Waisenheim für Mädchen errichtet wurde. Aus diesem Anlass veröffentlichte die Märkische Oderzeitung am 18. und 25. Juli 2007 den folgenden Artikel, den wir hier dokumentieren dürfen:
Kunst und Karitas
Französische Kunst in Berlin und 100 Jahre Johannaheim in Werneuchen / Werftpfuhl
Verdienste des Mäzens Eduard Arnhold
Wenn zur Zeit das kunstinteressierte Berlin in Aufruhr ist, weil französische Meisterwerke aus dem Metropolitan Museum of Art in New York und noch dazu eigene französische Bilder der Alten Nationalgalerie gezeigt werden, findet ein Mann wenig Erwähnung, dem Teile dieser Ausstellungen zu verdanken sind: dem Industriellen, Kunstsammler und Mäzen Eduard Arnhold. Manets "Im Wintergarten" und weitere Bilder konnten einstmals mit seiner finanziellen Unterstützung von der Nationalgalerie erworben werden.
In einem ganz anderen Zusammenhang finden die Verdienste Arnholds anlässlich eines Jubiläums Beachtung: Vor 100 Jahren genau, im Juli des Jahres 1907, wurde das Johannaheim in Werneuchen / Werftpfuhl eröffnet, ein von Eduard Arnhold und seiner Frau Johanna gestiftetes Mädchenheim. Rund vier Millionen Reichsmark haben die Arnholds bis zum Ersten Weltkrieg für das Heim zur Verfügung gestellt. Heute befindet sich in dem hellen, großzügigen Gebäude die Jugendbildungsstätte Kurt Löwenstein.
Eduard Arnhold, geboren 1849, war durch glückliche Umstände und Talent zu Geld gekommen. Ein Kohlehändler aus dem Bekanntenkreis von Arnholds Eltern, Caesar Wollheim, vermutete in dem jungen Arnhold einen fähigen Geschäftsmann und bot ihm eine Lehrstelle in seinem Unternehmen an. Wollheim hatte den richtigen Riecher, bald wurde Arnhold Teilhaber des erfolgreichen Unternehmens und nach dem Tod Wollheims 1882 sogar sein alleiniger Inhaber. Schließlich stieg er ins Bankgeschäft ein, tummelte sich in Vorständen und Aufsichtsräten einer Vielzahl von Unternehmen und engagierte sich an der Börse. Bis 1908 hatte er ein Vermögen von 42,5 Millionen Reichsmark angehäuft.
Sein Geld investierte Arnhold außer in weitere Geschäfte vor allen Dingen in Kunst. Er sammelte die Werke verschiedenster Maler und wurde schließlich zu einem der bedeutendsten Sammler impressionistischer Malerei seiner Zeit. Sein Haus wurde zur Galerie.
Doch sein Engagement galt nicht ausschließlich der Kunst, sondern auch der Förderung von Bildung und Wissenschaft sowie karitativen Zwecken. In seinem Selbstverständnis als „redlicher Kaufmann“ verschrieb sich Arnhold einem Mäzenatentum, das zur damaligen Zeit vor allem im jüdischen Großkapital „en vogue“ war. Ihm lag das Bestreben zugrunde, „für einen Ausgleich innerhalb der kapitalistischen Gesellschaft“ zu sorgen, schreibt Michael Dorrmann in seiner biographischen Studie über Arnhold.
Eduard Arnhold, bekannt auch durch seine Stiftung der berühmten Villa Massimo in Rom, in der deutsche Künstler gefördert werden, unterstützte mit seiner Frau Johanna rund 50 Vereine und Anstalten, überwiegend der Kinder- und Jugendfürsorge. Insbesondere die Mädchenförderung lag Johanna Arnhold am Herzen. So wurde auch das 1906 anlässlich der Silberhochzeit der Arnholds gestiftete und 1907 eröffnete Mädchenheim nach ihr benannt.
Die pädagogische Arbeit des Johannaheims war sehr modern: Alle Mädchen erhielten eine gründliche Schulausbildung in der hauseigenen Schule, zu der eine Frauenschule und eine Handelsklasse gehörten. So konnten die Mädchen einen Beruf erlernen. Eines wurde sogar Gymnasiallehrerin, in der damaligen Zeit für Mädchen sehr ungewöhnlich. Auch wurde in dem Heim die von Maria Montessori entwickelte und 1907 erstmals erprobte Reformpädagogik angewendet, die sich, gemäß dem Leitspruch „Hilf mir, es selbst zu tun“, konsequent an den Bedürfnissen und Fähigkeiten des einzelnen Kindes orientiert. Auch die reformpädagogischen Ansätze von Pestalozzi und Fröbel, die auf eine arbeitsorientierte Bildung zielten, kamen zur Anwendung. Folgerichtig beherbergte das Johannaheim eine Schulküche, mehrere Werkstätten und einen Schulgarten. Die reformpädagogische Orientierung des Johannaheims zeugt von der aufgeschlossenen Einstellung seiner Gründer gegenüber Neuerungen.
Arnhold selbst engagierte sich in der ästhetischen Bildung der Kinder, zeigte ihnen seine Kunstsammlung und regte Theateraufführungen an. Eines Tages ließ er die Kinder im Naturtheater des Hirschfelder Parks, damals ebenfalls im Besitz Arnolds, Shakespeares Sommernachtstraum aufführen. Der anwesende Fritz Lang, ein Freund Arnolds, entdeckte bei dieser Gelegenheit Brigitte Helm, die später als Hauptdarstellerin seines Films „Metropolis“ bekannt wurde.
Das Stifterehepaar, das keine eigenen Kinder kriegen konnte, fühlte sich dem Johannaheim und seinen Bewohnern persönlich verbunden. Es besuchte das Heim regelmäßig und beteiligte sich an der Erziehung der Mädchen. Frau Arnhold war „Tante Johanna“, ihr Mann „Onkel Edu“. Diese persönliche Nähe mag erklären, warum „Onkel Edu“ eines seiner teuren Kunstwerke verkaufte, um das Johannaheim weiter zu finanzieren, nachdem das Stiftungsvermögen in der Inflation der zwanziger Jahre verloren gegangen war. Wenige Jahre nach Eduard Arnholds Tod 1925 konnte das Heim nicht mehr gehalten werden und wurde verkauft. Die Mädchen zogen 1929 nach Potsdam um. In Werftpfuhl betrieb fortan der Berliner Bezirk Reinickendorf ein Kinderheim. In der Schule, die in den dreißiger Jahren weiterhin zum Heim gehörte, unterrichtete jetzt auch der von den Nationalsozialisten „aus politischen Gründen“ ins Nachbardorf Tiefensee strafversetzte Adolf Reichwein, später als Mitglied des Kreisauer Kreises im Widerstand gegen Hitler. Ehemalige Schüler berichten noch heute von seiner kreativen Unterrichtsgestaltung und menschlichen Einstellung.
Bevor das Land Berlin im November 1994 der Jugendbildungsstätte Kurt Löwenstein e.V., Bildungsstätte der Sozialistischen Jugend Deutschlands – Die Falken, die Nutzung übertrug, hatte das Johannaheim noch mehrfach Träger und Bestimmung gewechselt. Am Ende des Zweiten Weltkrieges war es Kriegslazarett, in den fünfziger Jahren wurde es Teil des Kombinats der Sonderheime für Psychodiagnostik und pädagogisch-psychologische Therapie. Bis 1991 noch fungierte es als Heim, dann wurde es aufgelöst und seine Bewohner auf Wohngemeinschaften aufgeteilt. In den Jahren 1996 bis 2000 wurde das zu diesem Zeitpunkt dringend sanierungsbedürftige Gebäude von dem Bildungsstättenverein grundsaniert und umgebaut. 1997 nahm die Jugendbildungsstätte ihre Arbeit auf, die bis dahin im Berliner Bezirk Spandau in einem deutlich kleineren Gebäude angesiedelt gewesen war.
Kommt man heute auf das Gelände, so trifft man womöglich auf Jugendliche, die vor dem Haus unter den alten Bäumen in kleinen Gruppen diskutieren, im Hof Skulpturen bauen, in der Halle Theater spielen oder in einem der Seminarräume Utopien für Europas Zukunft entwickeln. Vielleicht schallt die Musik von der Probe im neu eingerichteten Kunsthaus herüber, und auf der Terrasse unterhalten sich junge Israelis jüdischer und arabischer Herkunft auf Englisch mit ihren deutschen Gastgebern. Die Jugendbildungsstätte Kurt Löwenstein veranstaltet Wochenseminare mit Haupt- und Gesamtschülern aus Berlin und Brandenburg, Wochenendseminare mit Jugendfreizeiteinrichtungen und Bildungsurlaubsseminare mit Auszubildenden. Sie führt pädagogisch-politische Fortbildungen und internationale Begegnungen durch. „Das Johannaheim mit seinem großzügigen Gebäude und seinem mit alten Bäumen bestandenen Park bietet ideale Voraussetzungen für eine moderne Bildungsstätte mit vielfältigem Angebot“, sagt Geschäftsführer Thomas Gill.